H. Pfarrer Karl Lohmann

Die Anfänge der Pfaffendorfer evangelischen Gemeinde blieben Stückwerk ohne den Versuch, ihren ersten Pfarrer, der sie von 1899 bis zu seinem Tod im Jahre 1932 geleitet hat, als Person wenigstens in Umrissen für seine ersten 20 Amtsjahre zu erkunden.

Karl Hermann Wilhelm LOHMANN wurde am 6. März 1869 in Frankfurt am Main geboren, studierte in den Jahren 1889-1892 an den Universitäten Göttingen und Bonn Theologie, legte 1893 das Predigerexamen (licentia concionandi) und 1895 das zweite Examen (pro ministerio) ab und diente in der Zwischenzeit 1893-1894 ein Jahr, zunächst beim Hessischen Infanterieregiment Nr.82 in Göttingen, von dem er zum Reserve-Sanitätskorps überschrieben wurde, das er als Unteroffizier der Reserve verließ. Am 8. März 1896 erhielt er die Ordination zum Hilfsprediger in Koblenz. Sein früher Lebenslauf verläuft im Rahmen seiner Zeit geradlinig und läßt in dieser Geradlinigkeit Wesenszüge erkennen, die auch den späteren Pfarrer kennzeichnen, ergänzt vielleicht um Eigenwilligkeit in der Sache. In der Regel aber führte er auf direktem Weg zu Ende, was er angefangen hatte.

Der Predigtspruch seiner feierlichen Amtseinführung vom 4. März 1900 aus dem zweiten Korintherbrief Kapitel 3 Vers 4-6 war wohl eine ganz persönliche Botschaft an seine Gemeinde. Sie sollte wissen, mit wem sie es zu tun hatte. Nach dem Luthertext, der wohl auch ihm vorgelegen hatte, lautet er: "Ein solch Vertrauen aber haben wir durch Christum zu Gott. Nicht, daß wir tüchtig sind von uns selber, etwas zu denken als von uns selber; sondern daß wir tüchtig sind, ist von Gott, welcher auch uns tüchtig gemacht hat, das Amt zuführen des neuen Testaments, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig."

Karl Lohmann war, der Eindruck bleibt uneingeschränkt zurück, ein tüchtiger Mann. In den Nachweisen über die Amtsverrichtungen vom 8. Januar 1900 verpflichtete er sich in neun Paragraphen zu Gottesdiensten an Sonn- und Festtagen, zu Wochengottesdiensten und Bibelstunden bei Bedarf zu sechs Abendmahlsfeiern am jeweils zweiten Feiertag der drei großen Feste, am Karfreitag, Totensonntag und an einem Sonntag in der Trinitatiszeit, zum Konfirmandenunterricht, zu Haus- und Krankenbesuchen, wobei er gehalten war, wenigstens alle zwei Jahre sämtliche Familien seiner Gemeinde einmal zu besuchen. Auch übernahm er Taufen, Trauungen und Beerdigungen, Religionsunterricht in der Volksschule und, soweit die Regierung es ihm übertrug, die Ortsschulinspektion gewissermaßen als Minimalkatalog seines Amtes, dessen Pflichterweiterung das Presbyterium sich vorbehielt, sobald die Baumaßnahmen abgeschlossen sein würden. Dazu ist es, soweit erkennbar, nicht gekommen, sobald Lohmann die Zügel selbst in die Hand genommen hatte. Neben seinen pastoralen Funktionen aber war er in den zuvor genannten sozialen Vereinen präsent, auch war er die Gemeindeverwaltung in eigener Person. Die Akten zeugen von seiner ausgeprägten Fähigkeit, konzeptionelle, geschäftliche, kalkulatorische und selbst rechnungstechnische Arbeiten in großem Umfang pünktlich und schnell zu erledigen, wenn er es für nötig hielt. Er konnte wohl frühzeitig auf die Unterstützung des Presbyteriums zählen, aber die Verwaltungslast und die Verantwortung trug er allein, insbesondere in der Bauphase, und er trug sie scheinbar mühelos. Karl Lohmann erscheint in seiner amtlichen Tätigkeit als korrekter Mensch, zuverlässig, gesetzestreu und berechenbar. In Geldsachen korrekt bis zur Pfennigfuchserei, war er dennoch kein Mensch des Buchstabens. Das Ziel seiner Arbeit, seine eigentliche Aufgabe, stellte er über den Paragraphen und verfolgte sein Ziel, wenn es sein mußte, auch unter Umgehung desselben. Über bauaufsichtliche Bestimmungen konnte er, sofern die Gemeinde nur warm saß, souverän hinweggehen und mit der formalen Einhaltung der Berichtspflicht nahm er es nicht so genau, wenn sie ihm als formale Erfüllung der Buchstabentreue überflüssig erschien. Obwohl ihm als Hilfsprediger im rechtsrheinischen Teil der Koblenzer Pfarrei eigene Vereinsarbeit verboten war, baute er den Jungmänner-Verein im Stillen auf. Es ging ihm, wie man zu sagen pflegt, stets um die Sache, und zweifellos kam dabei auch immer etwas vom "Amt des neuen Testaments" herüber, das aus seiner Tüchtigkeit lebendige Gemeinschaft hat werden lassen. In dieser Gemeinschaft sah er sein Amt verankert, für dessen symbolhafte Wirkungsmöglichkeiten er Gespür besaß. Daß er während der Feierlichkeiten zur Einweihung seiner Kirche als erste pfarramtliche Handlung die Taufe gewählt und an seinem eigenen Sohn vollzogen hatte, läßt etwas von der Lebendigkeit des Geistes erkennen, die das junge Leben und die junge Gemeinde durch sein Amt und seine Person gleichermaßen begleiten sollte. Zu dieser Zeit konnte er sich der Wirkung sicher sein.

Wo diese Sicherheit fehlte, agierte er auch im Stillen. In die Hektik des Winters 1899/1900 mit seiner Ausarbeitung der oben ausgeführten Nachweise und mit deren Genehmigung und seiner Ernennung vom 26. Januar 1900, in das Durcheinander um seine Einführung in den Tagen zwischen dem 2. und 6. Februar 1900 ist ein Termin eingebettet, der im amtlichen Schreibwerk der Pfaffendorfer Gemeinde nirgends belegt ist, der auch beim Superintendenten in keinem Urlaubsgesuch auftaucht, nur in Lohmanns dort verwahrten Personalbogen. Es ist der 5. Februar 1900, sein Hochzeitstag. Zweifellos konnte er auch seine Person und ihr engstes familiäres Umfeld aus dem amtlichen Getriebe heraushalten, wenn er es für sinnvoll hielt.

Karl Lohmann besaß die Fähigkeit zum Vertrauen. Das läßt seine amtliche Tätigkeit deutlich erkennen. In seiner Ernennungsurkunde, die das Konsistorium ihm am 26. Januar 1900 ausgefertigt hatte, war er die Verpflichtung eingegangen, "daß er seiner Majestät, unserm allergnädigsten König und Herrn underthänig und ergeben sein (...) werde", und er hatte nie den leisesten Zweifel daran erkennen lassen, daß er sich als Kind seiner Zeit in diese Bindung gestellt sah und ihr vertraute. Und diese, in die ganze Nation hinein erweiterte Bindung erachtete er auch der göttlichen Hilfe für würdig. Seine Predigt zum 1. August 1915 anläßlich des Jahrgedächtnisses zum Kriegsbeginn stellte er unter den 124. Psalm, der mit den Worten endet: "Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat". Dank dieser Hilfe, so führte er in seiner Predigt aus, hatte das deutsche Volk im ersten Kriegsjahr den Haß der Feinde überlebt, hatten die Deutschen ein neues Selbstverständnis im Kampf gewonnen und ihre Einigkeit über die Parteien gestellt. Die Hilfe Gottes galt - seiner durchaus zeitgemäßen Ansicht nach - dem Überlebenskampf des eigenen Volkes, in dessen Dienst er sich mit seiner Gemeinde gestellt sah. Die von ihm angeregten und geleiteten Aktivitäten bei der Betreuung der Frontsoldaten aus der Gemeinde, bei der Unterstützung der daheimgeblieben Familien, beim Gedenken an die Gefallenen aus der Gemeinde und bei der Aufnahme durchziehender Truppenteile in die Gottesdienste, die zu den Gedenktagen des Kriegsausbruches (1. August) und zu Kaisers Geburtstag (27. Januar) besonders festlich begangen wurden, waren durchaus patriotisch motiviert, konzentrierten sich aber im Verlauf des Krieges zunehmend auf die Solidarität der verschont Gebliebenen mit denen in der eigenen Gemeinde, die der Krieg spürbarer getroffen hatte. Sein persönliches Engagement bei der Mitarbeit im "Arbeitsausschuß des Roten Kreuzes für die Bürgermeisterei Ehrenbreitstein", der im Gemeinderaum zusammentrat, und sein kriegsbedingter Einsatz als ein im Sanitätsdienst kundiger Seelsorger im Festungslazarett und im Reservelazarett in Ehrenbreitstein sowie im Genesungsheim in Arenberg, sein Einspringen in der rechtsrheinischen Militärgemeinde und im Koblenzer Gefängnis, dessen Pfarrer 1915 gefallen war, sind wohl nur als Ausdruck uneingeschränkter Pflichterfüllung und grenzenlosen Vertrauens in die täglich neue Verleihung der Gaben zur Führung des Amtes nachvollziehbar. Gegen Kriegsende zog Lohmann sich, als seine Kräfte nachzulassen begannen, aus einzelnen Bereichen der Lazarettseelsorge zurück. Diese Entscheidung aber ist nirgends als Folge eines geminderten Vertrauens erkennbar geworden.

Bestürzt erlebte Karl Lohmann das Ende dieser Ära, die Abdankung des Kaisers und die Gefährdung der nationalen Identität, die das besetzte Rheinland besonders zu spüren bekam. "Was das Ende des Unglücksjahres 1918 brachte, bleibt zeitlebens unserem Gedächtnis eingebrannt", schreibt er in seiner Festschrift von 1924 und fährt fort: "Am 20. Oktober war allgemeiner Landesbettag, am 9. November begann die Revolution. Wochenlang zogen die heimkehrenden Truppen über die Pfaffendorfer Brücke und an unserer Kirche vorbei, die meisten in musterhafter Ordnung und Verfassung, und dann, als der letzte deutsche Soldat ausrückte, wars uns, als fiele ein eisernes Tor zu; wir waren Gefangene der einziehenden amerikanischen Besatzung".

Pfarrer Lohmann ist an dem Verlust seiner Königstreue nicht gescheitert. Er nahm die neu gestellten Aufgaben an und hielt schon im Jahre 1919 einen Vortrag zu dem Thema "Frauenrechte und Frauenpflichten". Seinen Inhalt kennen wir nicht. Aber die von den Frauen geleistete Männerarbeit in der gerade zu Ende gegangenen Kriegswirtschaft und die seit 1919 einsetzende Demokratisierung des öffentlichen Lebens mit seinem allgemeinen und gleichen Wahlrecht hatte den Frauen ihre Plattform in der Öffentlichkeit bereitet, besonders im kommunalen Bereich. Dieser neuen Herausforderung sich zu stellen, war Lohmann ganz offensichtlich von Anfang an bereit. Mut und Gottvertrauen, wie er es selbst nannte, sind die Grundpfeiler seiner pastoralen Arbeit am Nächsten geblieben.

Quelle: 1899 -1999. Festschrift der Evangelischen Kirchengemeinde Koblenz-Pfaffendorf aus Anlass des 100. Jahrestages ihrer Gründung zum 1. Oktober 1899